Warum Hamburg das Werk eines antisemitischen, frauenfeindlichen, Hass predigenden Mönchs mit einem neu eingeführten Feiertag ehrt und damit die Chance vertan hat, für alle Hamburgerinnen und Hamburger einen religionsübergreifenden, weil weltlichen und damit verbindenden Feiertag einzuführen.
Kungelei in Schleswig-Holstein
Es fing damit an, dass die Fraktion der Piratenpartei im Februar 2017 im Schleswig-Holsteinischen Landtag einen Gesetzentwurf einbrachte, mit dem ein neuer gesetzlicher Feiertag eingeführt werden sollte. Da Schleswig-Holstein mit 9 Tagen – ebenso wie einige andere norddeutsche Bundesländer – weniger gesetzliche Feiertage hatte als alle übrigen Bundesländer, sollte mit einem zusätzlichen Tag die Ungleichheit etwas ausgeglichen werden. Da ohnehin schon 6 der 9 Feiertage christlich begründet waren und sehr viele Schleswig-Holsteiner den christlichen Kirchen gar nicht angehören, sollte es nach Ansicht der Piraten ein Feiertag sein, der für alle Schleswig-Holsteiner von Bedeutung ist, nämlich der Tag des Grundgesetzes. Leider lehnten alle anderen Parteien den Gesetzentwurf der Piraten ab. Die CDU behauptete sogar, dass ein neuer Feiertag in Schleswig-Holstein aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich sei.
In der folgenden Legislaturperiode, als die Piraten nicht mehr im Landtag vertreten waren, standen plötzlich keine wirtschaftlichen Bedenken der Einführung eines neuen Feiertags mehr im Wege. Der Südschleswigsche Wählerverband, der sich, wie vorher die Piraten, für einen säkularen Tag als neuen Feiertag einsetzte, wurde jedoch von den anderen Parteien überstimmt, und es wurde der evangelische Feiertag, der Reformationstag, als gesetzlicher Feiertag beschlossen.
Kungelei mit Hamburg
Auch in Niedersachsen, Bremen und Hamburg hatte inzwischen der Wunsch nach einem zehnten Feiertag zu entsprechenden Gesetzesvorlagen geführt. Speziell in Hamburg gab es dabei auch etliche Vorschläge für einen säkularen Feiertag. Nachdem jedoch die Regierungschefs der vier Bundesländer ihren unabhängig voneinander benannten Vorschlag des 31. Oktober auf der Sondersitzung der Ministerpräsidenten-Konferenz Norddeutschland am 1. Februar 2018 gemeinsam bekräftigt hatten – ausdrücklich „ohne der weiteren politischen und parlamentarischen Diskussion vorgreifen zu wollen“ – wurde in Hamburg am 28. Februar 2018 ein gemeinsamer Gruppenantrag von Bürgerschaftsabgeordneten der SPD, der Grünen und der CDU eingebracht, den 31. Oktober in Hamburg als Feiertag einzuführen, und die bisherigen Anträge der CDU und der LINKEN wurden zurückgezogen.
Ein gemeinsamer Gruppenantrag
In diesem gemeinsamen Antrag wurde der breite gesellschaftliche Konsens beschworen als Voraussetzung für diesen zusätzlichen Feiertag. Tatsächlich gab es kaum Widerstand gegen einen zusätzlichen Feiertag. Dass es aber ausgerechnet wieder ein kirchlicher, ein durch die Religion begründeter, speziell ein evangelischer Feiertag sein sollte, fand keine allgemeine Zustimmung, zumal nur etwa jeder vierte Hamburger Mitglied der evangelischen Kirche ist. In der katholischen Kirche, der etwa jeder zehnte Hamburger als Mitglied angehört, wird der 31. Oktober 1517 gar als Ursprung der Spaltung der christlichen Kirche gesehen. Also haben sich die Autoren des Gruppenantrages andere Begründungen für die Zustimmung zum 31. Oktober ausgedacht.
Antragsbegründung
Als erstes wurde angeführt, dass der 31. Oktober in den neuen Bundesländern bereits seit der Wiedervereinigung gesetzlicher Feiertag ist (zuvor war er es schon in der DDR) und dass er in den übrigen Bundesländern einmalig zum 500. Reformationsjubiläum 2017 zum Feiertag erklärt wurde. Und da sich ja die Regierungschefs der norddeutschen Bundesländer bereits geeinigt hatten, sich für ihren gemeinsamen Vorschlag des 31. Oktober in ihren Ländern einzusetzen, und da es auch viele Berufspendler nach und aus Hamburg gibt, wird die Wahl dieses Tages als neuer Hamburger Feiertag mit der Einheitlichkeit im Norden Deutschlands begründet. Diese rein formale Begründung reicht sicherlich nicht aus, um die konfessionsfreien Bürger, die die Mehrheit der Hamburger Bevölkerung bilden, von der Sinnhaftigkeit eines weiteren kirchlichen Feiertags zu überzeugen.
Als weitere Begründung wird die Hoffnung genannt, dass der Reformationstag zur Unterstützung des interreligiösen Dialogs beitragen kann, zumal der Weg der Ökumene und die gemeinsamen Feierlichkeiten im Lutherjahr diese Hoffnung geweckt hätten und Hamburg die Hauptstadt des interreligiösen Dialogs sei. Diese Begründung zeigt sehr deutlich die Nichtbeachtung der Konfessionsfreien, die ja am interreligiösen Dialog gar nicht beteiligt werden.
Notnagel Bugenhagen?
Auch die Begründung als Feiertag mit eindeutig norddeutschem Bezug und besonderer Bedeutung für Hamburg durch Johannes Bugenhagen erscheint mehr gewollt als gekonnt. Tatsächlich arbeitete Johannes Bugenhagen als Reformator während seines Aufenthalts in Hamburg vom 8. Oktober 1528 bis zum 9. Juni 1529 eine Kirchenordnung aus, in der er eine für Hamburg einheitliche Ordnung in den Bereichen Kirche, Schule und Armenfürsorge festlegte. Darin verfügte er die Auflösung der Hamburger Klöster, bestimmte die reformatorische Gottesdienstordnung und evangeliumsgemäße Abendmahlsfeier und beschrieb die neue Kirchenverwaltung. Er revolutionierte das Armenwesen dadurch, dass die Spenden an die Kirchen, d. h. die Gelder aus den sogenannten Gotteskästen, nicht mehr dem (römisch-katholischen) Kirchenschatz zugeführt wurden, sondern unter Verwaltung von Diakonen, die von der Gemeinde gewählt wurden, insbesondere für die Armenfürsorge verwendet wurden. Das Schulwesen, das bis dahin der Kirche unterstand, die eifersüchtig und hartnäckig alle privat entstandenen Schulen und den privaten Unterricht für Mädchen bekämpften, übertrug er der Stadt und konnte am 24. Mai 1529 das Johanneum, die erste öffentliche Lateinschule Hamburgs, eröffnen. Dort wurden allerdings nur Jungen unterrichtet, Mädchen wurden erst 1977 zugelassen. Immerhin hat Bugenhagen 1529 mit seiner Kirchenordnung für Hamburg – mit maßgeblicher Unterstützung des damaligen Bürgermeisters Johann Wetken – für seine Zeit Gewaltiges und Fortschrittliches im Bereich des Schulwesens und des Armenwesens geleistet. Ihm zu Ehren aber den 31. Oktober zum Feiertag zu erklären, erscheint abwegig, insbesondere auch wenn man an die heutige Situation in Hamburg denkt.
Ein Feiertag für die Gegenwart?
Im Laufe der Zeit hat die Anzahl religiöser Bürger stetig abgenommen, heute sind die meisten Hamburger religionsfrei. Statt aber bekenntnisfreie Schulen zuzulassen, beteiligt Hamburg immer noch die Kirchen – und zukünftig möglicherweise auch die alevitischen, jüdischen und muslimischen Glaubensgemeinschaften – durch den Religionsunterricht an der schulischen Bildung der Kinder. Auch sonst entspricht das Schulsystem in Hamburg nicht mehr den heutigen Anforderungen, was sich an dem schlechten Abschneiden der Hamburger Schüler bei internationalen Vergleichen zeigt. Darüber hinaus hat die Corona-Epidemie deutlich gemacht, dass die fehlende digitale Vernetzung von Schule und Schülern und die mangelhafte Erfahrung mit digitalem Lehr- und Lernmaterial die Chancengleichheit für die Schüler in gewaltigem Maße beeinträchtigt. Zu wenig Unterstützung gewährt Hamburg auch den Schülern, die nicht richtig lesen und schreiben lernen und dann als funktionale Analphabeten die Schule beenden. In Hamburg gibt es etwa 200.000 dieser Analphabeten. Für sie bieten die Volkshochschulen spezielle Kurse an, allerdings zu einem Preis, der immer noch etwa halb so hoch ist wie für andere Kurse. Das mag etliche Betroffene von der Teilnahme an diesen Kursen abhalten. Solange aber Analphabetismus immer noch als Makel in unserer Gesellschaft angesehen wird, können viele Betroffene diese Angebote nicht annehmen, weil ihnen der dafür erforderliche Mut fehlt, sich zu diesem „Makel“ zu bekennen. Hier hätte es der Stadt schon lange gut angestanden, diesem Übel abzuhelfen und die Stigmatisierung und Erniedrigung in respektvolle Bereitschaft zur Hilfe umzuwandeln.
Insgesamt sieht es also so aus, als ob Hamburg zwar die für damalige Zeiten außerordentlich fortschrittlichen Initiativen Bugenhagens würdigt, aber wenig Grund hat, eine konsequente Fortentwicklung dieser Initiativen zu feiern.
Antisemitismus, Frauenverachtung und Volksunterdrückung als positive Kulturprägung?
Schließlich werden kühne Behauptungen aufgestellt, die die kulturprägende und gesellschaftspolitische Relevanz des 31. Oktober belegen sollen. Martin Luther hat allerdings wenig damit zu tun: Sein radikaler Antisemitismus muss ja inzwischen nicht mehr totgeschwiegen werden. Das Foto von der Kunstaktion mit dem „Nackten Luther“ vor dem Hamburger Rathaus zeigt deutlich Luthers Einfluss auf die Einstellung zu den Juden im Dritten Reich. Auf der Rückseite von Luthers Mantel sind die judenfeindlichen Ratschläge des Reformators zu lesen: u. a. Niederbrennen der Synagogen, Zwangsenteignung und Zwangsarbeit für Juden (enthalten in Luthers Buch „Von den Juden und ihren Lügen). Auch das moderne Bild der Frau hat glücklicherweise überhaupt nichts mit Luthers „Idealbild“ der Frau zu tun („Der Tod im Kindbett ist nichts weiter als ein Sterben im edlen Werk und Gehorsam Gottes. Ob die Frauen sich aber auch müde und zuletzt tot tragen, das schadet nichts. Lass sie nur tot tragen, sie sind darum da.“ und „Die größte Ehre, die das Weib hat, ist allemal, dass die Männer durch sie geboren werden.“). Und so schloss er auch eine Bildung der Frau aus, die über das hinausging, was für die Haushaltsführung erforderlich war. Für ihn war die Vernunft die Hure des Teufels („Wer Christ […] sein will, der […] steche seiner Vernunft die Augen aus.“). Die Hoffnung auf Freiheit, die in den oft leibeigenen Bauern durch Luthers missverstandene Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ geweckt worden war, mussten die aufständischen Bauern schwer büßen. Sie wurden vernichtet, wie es Luther nicht nur gebilligt, sondern in seiner Schrift „Wider die Mordischen und Reubischen Rotten der Bawren“ gefordert hatte: „man soll sie zerschmeißen, würgen, stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund erschlagen muss“.
Religion privatisieren!
Ebenso falsch ist es, dass der 31. Oktober als Startschuss für eine Entwicklung betrachtet werden könne, die in eine moderne Welt mit einer Trennung von Kirche und Staat führte. Vielmehr geht es in Hamburg verstärkt „um eine zugewandte Kooperation des Staats mit den Religionsgemeinschaften“, wozu „auch die sogenannten ‚Hamburger Verträge‛ mit den Religionsgemeinschaften“ gehören. Dieses Kooperationsmodell nimmt „eine Mittelstellung zwischen strikter Trennung von Staat und Kirche und Staatskirchentum“ ein, wie es der ehemalige Bürgermeister Olaf Scholz in einer Rede am 22. Oktober 2015 beschrieb.
Und wie wenig von dem Vorschlag zu halten ist, den 31. Oktober als gesellschaftlichen Impulstag zu verstehen, der alle Bürgerinnen und Bürger dazu einlädt, die Zukunft aktiv mitzugestalten, erkennt man an den Schwierigkeiten, die den Volksinitiativen in Hamburg bereitet werden, und an der Missachtung von Bürgerentscheiden durch den Senat.
Die Abstimmung: Zuckerbrot und Peitsche?
Hat vielleicht die Antragsbegründung für die Wahl des 31. Oktober als neuen Feiertag allein nicht ausgereicht für eine breite Zustimmung in der Hamburgischen Bürgerschaft? Wurde deswegen dieser Antrag verbunden mit dem Antrag, den Besucherinnen und Besuchern am 31. Oktober den freien Eintritt in alle öffentlichen Hamburger Museen zu ermöglichen? Jedenfalls hat die Mehrheit der Bürgerschaftsabgeordneten den so verbundenen Anträgen zugestimmt.
Kein Halloween im Museum aber Gottesdienst?
Wer nicht unbedingt einen evangelischen Gottesdienst besuchen möchte, der könnte sich über den kostenlosen Besuch eines der öffentlichen Hamburger Museen freuen und hinterher Halloween feiern – sobald das mit Corona vorbei ist. Das mit dem Gottesdienst geht unvernünftigerweise immernoch.
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