Ein Bericht von Stefan Klausmann.
Am letzten Samstag riefen erstmals Bürger des Stadtteils Altona-Altstadt zu einer Demonstration gegen Polizeigewalt und rassistische Polizeikontrollen in ihrem Stadtteil auf. Über 1000 Anwohner, Nachbarn und Unterstützer folgten dem Aufruf, darunter viele persönlich Betroffene. Die Piratenpartei Hamburg war ebenfalls mit einer Gruppe vor Ort.
Nachdem es am Donnerstag, den 11.07.2013, auf der Holstenstraße zu Zusammenstößen zwischen Jugendlichen aus Altona und der Polizei kam, bei denen auch Pfefferspray zum Einsatz kam und mehrere Jugendliche verletzt wurden, trafen sich in den Tagen danach die Anwohner, um über ihre aktuelle Situation zu beraten. Den Grund für den harten Einsatz der Polizei konnte vor Ort offenbar niemand nachvollziehen, aber es wurde deutlich, dass die Jugendlichen dort in den letzten Wochen vermehrt grundlos von der Polizei kontrolliert wurden. Nach Einschätzung der Anwohner wählt die Polizei ihre Ziele dabei nach rassistischen Kriterien aus und kontrolliert im Wesentlichen Personen, die ihrem äußeren Erscheinungsbild nach aus Migrationsfamilien stammen. Da die Häufigkeit und die Art und Weise der Kontrollen von den Betroffenen als sehr erniedrigend empfunden werden, wollten diese nun zeigen, dass sie diesen Umgang nicht einfach so hinnehmen wollen. Trotz der kurzen Vorbereitungszeit stellten die Anwohner eine dreistündige Demonstration quer durch Altona auf die Beine und taten ihren Unmut dort jederzeit friedlich aber bestimmt kund.
Beim Auftakt der Demonstration und auf mehreren Zwischenkundgebungen stellten immer wieder Anwohner ihre persönlichen Erlebnisse dar. So wurden einige Personen wohl sogar mehrfach am Tag kontrolliert, teils von den selben Beamten, und mussten dabei auch Beleidigungen und Erniedrigungen über sich ergehen lassen. Die Pferdestaffel der Hamburger Polizei kam den Angaben nach vor Ort ebenfalls bereits zum Einsatz. Auch nicht direkt beteiligte Zeugen schilderten ihre Beobachtungen der letzten Wochen und machten klar, dass sie keinerlei Grund für die von ihnen beobachteten Polizeieinsätze und die Härte des Vorgehens erkennen konnten. Immer wieder betonten die Redner, dass es in ihrem Stadtteil keinerlei Jugendbanden gibt und auch keine größeren Probleme mit Gewaltkiminalität oder ähnlichem bekannt seien. Die Anwohner sehen das Problem in den verstärkten Polizeikontrollen und der damit verbundenen Schikane, die schließlich zur Eskalation vom vorletzten Donnerstag führten. Sie widersprachen damit auch ausdrücklich den Presseberichten, die von Krawallen und gewaltbereiten Jugendlichen gesprochen hatten und wehren sich gegen die Stigmatisierung ihres Stadtteils als Problembezirk.
Auf mehreren Kundgebungen, darunter eine Zwischenkundgebung direkt vor dem (abgeriegelten) Polizeikommissariat 21 in der Mörkenstraße, überbrachten die Anwohner ihre Forderungen nach einem lokalen Jugendtreff unter Mitgestaltung der Jugendlichen, dem Ende der erhöhten Polizeipräsenz und der verdachtsunabhängigen Kontrollen, einer unabhängigen Untersuchung der vergangenen Polizeieinsätze und dem Ende von rassistischer Stereotypisierung.[1]
Die Motive der Polizei sind dabei umstritten. Klar ist lediglich, dass die Kontrollen seit wenigen Wochen massiv verstärkt wurden. Der Anlass dafür soll eine Häufung von Straftaten gegenüber Anwohnern sein.[2] Von diesen haben aber viele auf der Nachbarschaftsversammlung letzte Woche und der Demonstration an diesem Wochenende Partei für die Jugendlichen ergriffen. Was vielen ebenfalls nicht klar ist, ist dass die Holstenstraße bereits seit 2005 zum Gefahrengebiet St. Pauli gehört.[3] Dieses Instrument erlaubt es der Polizei legal anlasslos Personen zu kontrollieren und gegebenenfalls sogar Platzverweise zu erteilen, die in bestimmte Muster passen. Bei diesem Gefahrengebiet sind das Personen, bei denen ein Zusammenhang mit Gewaltdelikten vermutet wird. Die Polizei unterstellt dies offenbar vor allem Jugendlichen aus Familien mit Migrationshintergrund. Damit werden Menschen allein auf Grund ihres Aussehens wiederholt schikaniert und haben keine Möglichkeit dem irgendwie zu entrinnen. Betroffene schilderten auf der Demonstration ebenfalls, wie sie jederzeit Angst davor haben wieder von der Polizei aufgegriffen zu werden, wenn sie sich im öffentlichen Raum ihres eigenen Stadtteils bewegen.
Hier zeigen sich nun an einem praktischen Beispiel klar die Probleme übertriebener Polizeipräsenz und anlassloser Kontrollen. Auch Migrantenfamilien sind Einwohner dieser Stadt und haben die gleichen Rechte wie ihre Mitbürger. Das muss sich endlich auch im Alltag wiederspiegeln, indem die Polizei alle Bürger dieser Stadt mit dem gleichen Respekt behandelt. Darum unterstützt die Piratenpartei Hamburg ihre Mitbürger bei ihrem Einsatz für eine würdevolle Behandlung durch die Behörden und ein Leben in Freiheit und ohne Diskriminierung. Die Praxis der Gefahrengebiete, in denen Personen ohne Verdacht nur aufgrund äußerer Merkmale kontrolliert werden, muss dafür abgeschafft werden.
[1] http://mietenwahnsinn.rechtaufstadt.net/aktuell/altona-altstadt-offene-erkl%C3%A4rung-der-anwohnerinnen
[2] http://www.presseportal.de/polizeipresse/pm/6337/2512835/pol-hh-130712-3-widerstand-und-landfriedensbruch-in-hamburg-altona
[3] http://www.grundrechte-kampagne.de/content/st-pauli-vergn%C3%BCgungsviertel
Anstelle eines Neustarts brauchen wir eine Bestandsaufnahme. Wir müssen identifizieren, in welchen Bereichen es nicht gut läuft. Dazu gehört auch, dass sich Einzelne der Tatsache stellen, dass sie momentan nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems sind. Neustart ist Tabula-rasa-Mentalität, und das brauchen wir nicht. Wir brauchen konstruktive Diskussionen, die jedoch die konstruktive Arbeit, die es in unzähligen Bereichen gibt, nicht stört. Wer um sich selbst kreisen will, soll das tun, aber er sollte anderen seinen Zustand nicht aufzwingen. Das gilt für Einzelpersonen genauso wie für Gliederungen oder Gremien.