Aktuell

Letztlich doch noch ein guter Tag für die Demokratie

von Andreas Gerhold

Seit Wochen und Monaten hatte sich Hamburg auf den Tag vorbereitet, an dem die Faschisten unter menschenverachtenden Parolen durch die Stadt marschieren wollten. Hunderte Organisationen, über alle politischen Lager hinweg, hatten sich zu einem „Bündnis gegen Rechts“ zusammengeschlossen, um dagegen zu protestieren und den Aufmarsch zu verhindern. Am Ende standen zwei Konzepte: Zum einen eine Demonstration durch die Innenstadt mit anschließender Großveranstaltung auf dem Rathausmarkt unter dem Motto „Hamburg bekennt Farbe“ und zum anderen sollte versucht werden, den Aufmarsch mit Sitzblockaden praktisch zu verhindern.

Beides wurde umgesetzt, so dass sich rund 10.000 Hamburger zu einer offenen und toleranten Gesellschaft bekannten und dem kruden Weltbild der Nazis eine deutliche Abfuhr erteilten. Weitere Tausende hinderten sie daran, durch unsere Stadt zu ziehen, so dass die geplante Demonstration der Faschisten erst mit drei Stunden Verspätung starten und auch nur auf einer geänderten Route einige hundert Meter ziehen konnte.

Die Berichterstattung

Die Presse berichtet überwiegend von „Krawallen“. Während die Antifaschisten auf dem Rathausmarkt neutral als Hamburger, Menschen oder Bürger bezeichnet werden, werden die Antifaschisten, die vor Ort bereit waren, zivilen Ungehorsam zu leisten und unter Einsatz ihrer körperlichen Unversehrtheit den Faschisten entgegen traten, pauschal als „Linke“ tituliert und im Unterton diffamiert. Nicht, dass mich jemand missversteht, ich empfinde „links“ nicht als Schimpfwort. Auffällig ist aber, dass ein Großteil der Presse mal wieder sehr pauschal die guten Antifaschisten von den bösen Antifaschisten unterscheidet und dabei völlig ungesicherte Meldungen verbreitet, wobei man sich z.B. auf „Beobachter“ beruft, wenn der Journalist etwas nicht selbst beobachtet hat aber auch niemanden benennen kann. An mehr als einer Stelle kann ich als tatsächlicher Beobachter bestätigen, dass es sich um Falschmeldungen handelt. Genauso kann ich aus eigenem Wissen berichten, dass sich einerseits in Wandsbek an den Blockaden Menschen beteiligt haben, die gewiss nicht als „Linke“ bezeichnet werden können, andererseits auf dem Rathausmarkt viele Menschen feierten, die sich selbst als „Linke“ sehen. So gut wie nichts bekommt man zu lesen über die Gefährlichkeit der Faschisten, im Gegenteil, so schreibt Bild.de „Die Rechten haben eigene Ordner dabei, die die Einhaltung der Versammlungsordnung beaufsichtigen sollen …“ Ordentliche junge Leute also?

Linksradikale und brennende Barrikaden

Ich werde mich hier sicher nicht pauschal von linken Antifaschisten distanzieren, auch nicht von einem Großteil der linksradikalen Autonomen – mit vielen Autonomen habe ich gemeinsam in friedlichen Sitzblockaden gesessen.
Allerdings habe ich massive Kritik an einem nicht geringen Teil der Autonomen, die ich nicht verschweigen will. Es gab im Bündnis die Verabredung, nicht eskalieren zu wollen – woran sich an vielen Stellen nicht gehalten wurde. Brennende Mülltonnen, zumal oft weitab der Strecke und noch weiter ab von den Faschisten sind nicht mehr als grober Unfug. Das Anzünden von privaten PKW ohne Sinn und Verstand, das Bewerfen von stehenden Polizisten mit Steinen und Flaschen ist weder revolutionär, noch irgendwie zu rechtfertigen. Mit solchen Aktionen wurde wieder mal einem gemeinsamen Anliegen und der Sache grob geschadet. An dieser Stelle haben eindeutig die betroffenen Polizisten und Anwohner meine Solidarität!
Ich will an dieser Stelle auch ein Verhalten von angeblichen „Revolutionären“ – in Wahrheit handelt es sich meist um unpolitische, erlebnisorientierte Jugendliche, die sich nur äußerlich durch Uniformierung als Autonome darstellen – anprangern, das ich seit Jahrzehnten beobachte. Auch an diesem Tag musste ich häufig beobachten, dass sich in den vordersten Reihen eben nicht diejenigen befanden, die sich schon äußerlich als kampfbereit darstellten. Im Gegenteil: diese standen mal wieder in den hinteren Reihen, warfen von dort – über die Demonstranten hinweg – Gegenstände auf die Polizei und waren dann diejenigen, die am schnellsten wegliefen, als die Polizei dann darauf reagierte. Nicht zum ersten Mal musste ich sogar erleben, dass von hinten geworfene Gegenstände die Friedlichen und Mutigen in den ersten Reihen am Hinterkopf trafen. So wurde gestern eine junge Frau nur einen Meter von mir entfernt von einer vollen Bierflasche am Hinterkopf getroffen und schwer verletzt. Diesen Leuten kann ich nur sagen: „Ihr seid widerliche Feiglinge!“

Die Polizei

Richtig ist, dass die Polizei an vielen Stellen mit völlig unnötiger und unverhältnismäßiger Brutalität vorgegangen ist. Auch waren dies keine einzelnen Polizisten, vielmehr geschah dies mit Ansage und offensichtlich genauso trainiert. Es wurden friedliche Sitzblockierer nicht nur mit Wasserwerfern angegriffen; es wurde gezielt versucht, diesen Schmerzen und körperliche Schäden zuzufügen. Es wurde versucht, Nasen, Hand- und Fußgelenke zu brechen, was teilweise auch gelang! Andererseits will ich auch betonen, dass sich andere Polizeieinheiten sehr angemessen verhalten haben und ich insgesamt, gerade wenn es um den Schutz von Faschisten gegen vermeintlich Linksradikale ging, schon sehr viel brutalere Polizeieinsätze erleben musste. An dieser Stelle fällt meine Beurteilung also eher gemischt aus.

Was allerdings die Polizeiführung und ihre Strategie angeht, so kann ich nur mit dem Kopf schütteln. Dass überhaupt eine Strecke – ausgerechnet in einem so schwer zu kontrollierenden Gebiet – genehmigt wurde, war sicher eine Fehler, kann aber nicht der Polizei angelastet werden. Dass aber den Faschisten, als klar wurde, dass die Demo auf der geplanten Strecke nicht durchführbar ist, statt einer stationären Kundgebung noch eine alternative Route angeboten wurde, von der schon vorher klar war, dass diese genauso untragbar ist, war ein eindeutiger Fehler der Polizeiführung. Auch dass mal wieder am Ende die Faschisten vor Gegendemonstranten geschützt wurden aber nicht umgekehrt, kann als symptomatisch angesehen werden und muss der Polizeiführung angelastet werden. So standen die Polizisten, als sich am Schluss die Faschisten und die Antifaschisten gegenüber standen, mit dem Rücken zu den Nazis und gingen massiv gegen die Antifaschisten vor. Auch als Gegenstände sowohl von Antifaschisten auf Faschisten, aber genauso Gegenstände aus den Reihen der Faschisten in die Menge der Antifaschisten geworfen wurden, ging die Polizei massiv gegen die Antifaschisten vor, während die Faschisten völlig unbehelligt ihr Treiben fortsetzen durften. Warum die Nazis nach Beendigung ihrer Schlusskundgebung noch so lange auf der Kreuzung vor dem Bahnhof Hasselbrook stehen bleiben durften und eine immer wahrscheinlicher werdende Eskalation von der Polizei in Kauf genommen wurde, anstatt die Nazis sofort in den Bahnhof zu begleiten, ist mir völlig unverständlich. Insgesamt bleibt festzustellen, dass die Polizeiführung schwere Fehler gemacht hat, so dass sie im Laufe des Tages völlig die Übersicht über die Lage verloren hat. Die Faschisten bedankten sich am Ende bei der Polizei, dass sie ihnen das „Gesindel“ vom Leib gehalten hat. Dazu hatten sie leider allen Grund.

Die Faschisten

Tausend Demonstranten waren angekündigt, die Presse schreibt von 5-600, was ich gesehen habe, waren nicht mehr als 2-300. Die mussten drei Stunden warten, bevor ihre Demonstration beginnen und sie ein kurzes Stück marschieren konnten. Dass sie dies am Ende als Erfolg bezeichneten und als Zeichen, dass der „nationale Widerstand“ auch in Hamburg eine Rolle spiele, spricht allein dafür, wie verblendet und dumm diese Leute sind.

Mein Fazit: Letztlich doch noch ein guter Tag für die Demokratie

Bei allem was schief gelaufen ist, bei allem was zu kritisieren ist, bleibt, dass mit – entgegen dem Pressetenor – überwiegend friedlichen Demonstrationen und Blockaden von insgesamt schätzungsweise 15.000 Bürgern ein Aufmarsch von Faschisten in Hamburg und die Verbreitung ihrer menschenverachtenden Ideologie, die oft genug, weil sie nicht ernst genommen wird zu Mord und Totschlag führt, weitgehend verhindert werden konnte. Damit war der 2. Juni 2012 doch noch ein guter Tag für die Demokratie und ich bedanke mich bei allen, die das möglich gemacht haben.

1 Kommentar zu “Letztlich doch noch ein guter Tag für die Demokratie

  1. schreiber

    Einem Rollstuhlfahrer wurde die Hand gebrochen??? WTF !
    Ich kann nicht glauben das in anderen Städten Sitzblockaden „geduldet“ werden, der Aufmarsch dann „leider nicht stattfinden kann“ – die Polizei also gemeinsam mit den Demonstranten die Fascho-Demo verhindert.

    Und in Hamburg werden friedliche Sitzblockaden weg geprügelt. Das ist Eckelhaft.
    http://www.mopo.de/polizei/pfefferspray-und-wasserwerfer-anti-nazi-protest–war-die-polizei-zu-brutal-,7730198,16292400.html

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